Die
Haubergswirtschaft im Spannungsfeld zwischen Industrie, Landwirtschaft und
Forstwirtschaft
Da die Haubergsflächen unter verschiedenen Zielsetzungen genutzt werden
konnten (mit landwirtschaftlichem, forstwirtschaftlichem oder industriellem
Schwerpunkt), also ein multifunktionales Potential besaßen, kam es zu
konkurrierenden Ansprüchen auf diese Flachen bzw. zu unterschiedlichen
Zielvorstellungen über die Nutzung derselben.
Besonders krass trat dieser Zielkonflikt zwischen land- und
forstwirtschaftlicher Nutzung der Flachen zutage. Seit den Bemühungen
WITZLEBENs und HARTIGs um eine geregelte Forstwirtschaft im
Untersuchungsraum bestand das forstwirtschaftliche Hauptziel in der
Sicherung der Nachhaltigkeit des Holzertrages. Dieses Ziel wurde besonders
stark durch die vielfältigen landwirtschaftlichen Neben- und
Zwischennutzungen im Hauberg beeinträchtigt.
Während BECKER 1841 die Haubergswirtschaft geradezu idealtypisch darstellt,
wird zur gleichen Zeit heftige Kritik seitens der Forstwirtschaft an diesem
System geübt. Im Gegensatz zu BECKER kommt der zeitgenössische Oberförster
SPECK (1843) aus Ebersbach in einem Gutachten über die Hauberge zu der
Auffassung. daß die Haubergswirtschaft "nicht nur eine verfehlte sei,
sondern daß eben dadurch die allgemeine Wohlfahrt der Gegend dermaleinst und
wohl zu bald untergraben werden müßte". SPECK führt weiter aus: " Sind die
Hauberge in einem guten Zustand, so findet sich Wohlstand, sind sie
devastiert, so verarmen ihre Besitzer unausbleiblich. Es sind daher diese
Waldungen, welche eine Bevölkerung von rd. 4000 Menschen ernähren, wohl wert
in staatswirtschaftlicher Beziehung gewürdigt zu werden, damit durch
Beseitigung der drohenden. Devastation die Besitzer derselben dem Staate
nicht zur Last fallen", Als Hauptübel wurde die Übernutzung der Hauberge auf
den durch Teilung zu klein geratenen Anteilen, sowie die nachlässige
Handhabung der Arbeiten im Hauberg betrachtet. Infolge der Benutzung waren
die Hauberge vorwiegend mit alten Eichenstöcken von geringer Ausschlagskraft
mangelhaft bestockt. Das führte oft zu großen, holzleeren, ehemals
bewaldeten Flachen, die nur noch als dürftige Viehweide dienten und dort, wo
der Boden nicht zu sehr ausgehagert war, eine geringe temporäre Kornernte
lieferten.
Vom forstwirtschaftlichen Standpunkt aus war es einleuchtend, daß ein
geschlossener, vom Vieh und Getreide- zwischenbau nie berührter Niederwald
einen weit größeren Ertrag abwarf als der bestbehandelte Hauberg; aber
ebenso leicht ließ sich nachweisen, daß das damals nur in beschränktem
Umfange vorhandene Acker- und Grtinland nicht ausreichte, um der Bevölkerung
ausreichend Beschäftigung und Brot und dem Vieh genügend Weide und
Winterfutter bereitzustellen. In der Tat reichte um die Mitte des 19.
Jahrhunderts das landwirtschaftliche Potential nicht mehr aus, um den
Bevölkerungsanstieg aufzufangen. Es kam zu Verarmungserscheinungen, die
allerdings auch mit der Ablösung der Zehntberechtigungen zusammenhingen.
Besonders hart betroffen war die Gemeinde Mandeln, zu deren Stützung damals
staatliche Maßnahmen zur "Hebung des Wohlstandes" eingeleitet werden
mußten. Gerade am Beispiel Mandeln wird deutlich, daß die Haubergswirtschaft
ehemals den Hauptnahrungszweig" für die Bevölkerung des Untersuchungsraumes
darstellte. Die verarmte Gemeinde Mandeln besaß an privaten Haubergen
lediglich 23 Morgen und 13 Ruten, während die Gemeinde Rittershausen über
2000 Morgen Hauberg bewirtschaftete.
Aus Offdilln wird 1839 berichtet, daß ein Haubergsbesitzer in einem
ungünstigen Jahr 88 Tagewerke zur Bearbeitung seines "Jahns" im Hauberg
verwendet, 10 Mesten Korn eingesät und nur 30 Mesten geerntet habe. Durch
diese Tätigkeit konnte also keine Bodenrente erzielt werden, und ein
Haubergsbesitzer, der diese Arbeiten im Tagelohn hätte vergeben müssen, wäre
nicht existenzfähig gewesen. Da aber die vierköpfige Familie diese Arbeiten
an 22 Tagen selbst ausführte, entfielen auf jedes Familienmitglied pro Tag
21 Kreuzer Lohn, zu dessen Erwerb man sonst keine Gelegenheit gehabt hätte.
Wenn man sich die Rentabilität der Arbeiten im Hauberg vor Augen führt, ist
es verständlich, daß man seitens der Forstbehörden massiv auf die
Entflechtung vor allem der land- und forstwirtschaftlichen Nutzungen
drängte. Man argumentierte, daß die im Hauberg aufgewandte Arbeit
verschwendet sei und daß dieselbe, auf den schlecht betriebenen Feldbau
verwendet, einen größeren Nutzen abwerfen würde. Durch den Ausschluß der
landwirtschaftlichen Nutzungen im Hauberg sollte der Holzertrag verdoppelt,
der Loheertrag sogar verdreifacht werden; außerdem benötigte man für einen
Wagen Holzkohle bei guter Qualität nur 2 1/4 Klafter Prügelholz, während man
bei minderwertigen Hölzern 3 1/2 Klafter verkohlen mußte. Diese bei
ausschließlich forstwirtschaftlicher Nutzung der Hauberge entstehenden
Mehreinnahmen sollten den Ausfall der landwirtschaftlichen Nutzungen im
Hauberg bei weitem aufwiegen. Vom forstwirtschaftlichen Standpunkt aus
konnte auch das Loheschälen nicht uneingeschränkt bejaht werden, da bei der
Lohegewinnung der Abtrieb des Holzes erst dann vorgenommen werden durfte,
"wenn der Saft völlig in alle Theile der Pflanze übergegangen" war. Die zu
spät abgetriebenen Stöcke konnten aber nur bei sehr günstiger Witterung noch
im gleichen Frühjahr neue Ausschläge bilden; diejenigen Loden aber, die der
zweite Trieb hervorbrachte, konnten selten noch vor Herbst so verholzen, daß
sie ohne Frostschäden Überwintern konnten. Daher wurden die Hauberge in den
meisten Fällen durch das Loheschälen um ein ganzes Jahr im Wuchs
zurückgeworfen, wodurch bei unveränderter Umtriebszeit ein beträchtlicher
Verlust an Holzmasse entstand.
Ein weiterer Nachteil dieser Nutzung lag in der unvorsichtigen Handhabung
der Lohegewinnung. Da man aus Nachlässigkeit die Rinde der Reidel vor dem
Schälen nicht unten vom Stamm löste, wurde diese meist bis auf die Wurzel
abgerissen, wodurch die Ausschlagfähigkeit der Stöcke beeinträchtigt wurde.
Diese Nachlässigkeit, bei der Lohegewinnung erklärt sich dadurch, daß in den
Gemeindeniederwaldungen diese Arbeiten verakkordiert wurden und daß
unachtsames Arbeiten im genossenschaftlichen Hauberg keine direkt sichtbaren
Folgen für den Benutzer hatte, da ihm mit Sicherheit beim nächsten Umtrieb
nicht wieder die gleiche Teilfläche durch das Los zufiel.
Die genannten Gründe führten dazu, daß die Lohegewinnung in den
herrschaftlichen Haubergen sogar eingeschränkt und daß empfohlen wurde, auf
die Rinde alter Eichenstämme, die zu Brandholz bestimmt waren, auf
Eichenlaub, auf die Spitzen von Nadelholzreisig (wie in England verwendet)
sowie auf Erlenrinde auszuweichen. Da die Hauberge im allgemeinen weder
landesherrliches noch Gemeindegut, sondern Gesellschaftswaldungen im
Eigentum von Privatpersonen waren, die die Nutzung der Waldflächen nach
eigenem Interesse bestimmen konnten, hatten die Forstbehörden wenig Einfluß
auf das Ausmaß der Loheproduktion.
Die forstwirtschaftlichen Bedenken gegen einige Nutzungen im Hauberg und die
Einflüsse dieser Nutzungen auf die forstwirtschaftlichen Erträge wurden zwar
von einigen Haubergsgenossen erkannt, eine Änderung der Verhältnisse konnte
und wollte man jedoch nicht herbeiführen, da jede diesbezügliche Aktivität
eine längerfristige Kapitalbindung verursacht hätte. Diese Tatsache ist auch
später von den Haubergsbesitzern bei den Umwandlungsverhandlungen (von
Niederwald in Hochwald) mit den Forstbehörden immer wieder ins Feld geführt
worden. Da Argumente und Überzeugungskünste der Forstbeamten nicht
ausreichten, um eine Veränderung im Haubergssystem herbeizuführen, sah man
schließlich nur noch die Möglichkeit, "den Weg der Gesetzgebung zu
beschreiten, um solche Verordnungen zu erlassen, welche diese Waldungen in
einen Stand versetzen, welcher Wohlstand fördert und Armut verhütet". Diese
Gesetzgebung kam allerdings nicht kurzfristig zustande, sondern erst zu
einem Zeitpunkt (1887), als die traditionelle Haubergswirtschaft ihrem
Niedergang entgegensah.
Die um die Mitte des 19. Jahrhunderts existierenden Gesetze und Verordnungen
(vor allem die Haubergsordnung von 1805) befaßten sich zwar mit der
Bewirtschaftung der Hauberge, wurden jedoch nur in geringem Ausmaße befolgt,
da sie schwer zu überwachen waren. Dazu trug nicht zuletzt der mangelhafte
Forstschutz bei. Da die Haubergsbesitzer jährlich einen neuen
Haubergsschützen "veraccordierten" und i. d. R. derjenige ausgewählt wurde,
der den geringsten Lohn - meist weniger als 30 Gulden - beanspruchte, versah
dieser seinen Dienst nur oberflächlich, da er sich anderweitig zusätzliche
Einnahmen verschaffen mußte. Mißtrauen und renitentes Verhalten der
Haubergsbesitzer bzw. der Haubergsvorsteher gegenüber den Forstbehörden
führten außerdem zu einem Spannungsverhältnis zwischen beiden Parteien, das
erst in neuerer Zeit überwunden zu sein scheint. |